Syrienreise im Juli 2021
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
von meinem Besuch Syriens im Juli dieses Jahres bringe ich Ihnen/ Euch eine Fülle von Informationen, Eindrücken und Erfahrungen mit, die meine Befürchtungen leider weit übertrafen. Über einige davon möchte ich berichten und insbesondere auch die Projekte unseres Vereins in Aleppo näher beschreiben.
Mein letzter Aufenthalt in Syrien war im April 2011. Damals begannen gerade die Aufstände in der südlich von Damaskus liegenden Stadt Daraa.
Ich führte eine Kultur- und Tanzreise für deutsche Frauen durch das Land. Wir konnten Syrien noch in seiner unverwechselbaren orientalischen Authentizität mit seinem kulturellen Reichtum und den liebenswerten, freundlichen Menschen erleben. Von den Unruhen und dem nahenden Krieg bekamen wir kaum etwas mit. Es war, wahrscheinlich noch auf viele Jahre hinaus, eine der letzten möglichen touristischen Reisen dorthin.
Seitdem habe ich mich immer wieder danach gesehnt, meine Verwandten, Freunde und das Land selbst wieder zu sehen. Heuer war es endlich soweit! Von meinen Verwandten habe ich quasi grünes Licht erhalten. Aleppo sei ruhig und die Sicherheitslage gut, teilten sie mir mit. Die Stadt und ihre Umgebung ist nach den langjährigen Kämpfen und den regelmäßig wiederkehrenden Übergriffen der Rebellen aus dem Umland nun vollständig unter der Kontrolle des syrischen Regimes. Ein Waffenstillstand zwischen den Rebellen, die sich in das Gebiet um Idlib zurückgezogen haben und dem Regime, der über ihre internationalen Vertreter Russland und Türkei verhandelt wurde, sorgt seit einem guten Jahr für eine relative Ruhe und Sicherheit. Zumindest in dem vom Regime kontrollierten Teil Syriens, zu dem auch Aleppo und Damaskus gehören.
Der Flugverkehr zwischen Syrien und Europa, einschließlich den USA, ist auf Grund westlicher Sanktionen völlig lahmgelegt. Um in Syrien einreisen zu können, musste ich nach Beirut, Hauptstadt von Libanon, fliegen. Ein Taxi brachte mich an die syrische Grenze, dort wechselte ich das libanesische Taxi gegen ein syrisches und fuhr damit über Land- und Schnellstraßen weiter nach Aleppo. Die Reisezeit beträgt etwa 8 Stunden. Dabei ist der Flug von München nach Beirut mit einem mehrstündigen Zwischenaufenthalt in Istanbul nicht einberechnet. Wenn ich bedenke, dass vor dem Krieg ein Direktflug von München nach Aleppo 4 Stunden dauerte, ist das heute eine kleine 2 Weltreise. Ich hatte keine andere Wahl als die lange Strecke mit zwei mir von meinem Onkel vermittelten, vertrauenswürdigen und ortskundigen Taxifahrern auf mich zu nehmen.
Nachdem ich mit weiteren Mitfahrern die libanesische Grenze überquerte und auf syrisches Gebiet kam, hielten wir in regelmäßigen Abständen an den Checkpoints der syrischen Armee. Der Taxifahrer kannte die Strecke und die Wachposten bestens, zeigte unsere Papiere und gab ein kleines Trinkgeld. Dadurch wurden wir meist nicht lange aufgehalten und konnten zügig weiterfahren. Trotzdem umgab mich bei jedem Anhalten ein mulmiges, ungutes Gefühl. Die überstarke militärische Präsenz an jeder wichtigen Zufahrt oder Abzweigung bestätigte mir, Syrien ist noch im Krieg! Schließlich erreichten wir den nördlichen Teil der Schnellstraße, die das südlich liegende Damaskus mit dem im Norden liegenden Aleppo verbindet. Für ein paar Jahre hatten die Rebellen von der Mitte dieser Strecke bis ins Zentrum von Aleppo den Abschnitt unter ihrer Kontrolle. 2019 jedoch hatte das Regime mit großem militärischem Einsatz den Abschnitt wieder zurückerobert.
Vor dem Krieg bin ich viele Male, um von Aleppo nach Damaskus zu kommen, diese Strecke gefahren. Wir hatten damals gerne an eine auf der Strecke liegenden Ortschaften angehalten, um einen Tee zu trinken, zu tanken oder einfach auch nur, um das schöne Dorf zu besichtigen. Heute ist nichts mehr davon da! Menschenverlassene und verwüstete Dörfer und Kleinstädte reihen sich aneinander. Es sind Geisterstädte, wie ich sie höchsten aus Kriegsfilmen kenne. Kein Funken Leben, ich höre und sehe nichts! Kein Zeichen, dass hier einmal Menschen gelebt haben. Ich will es nicht glauben, dass alles verschwunden ist und schaue, suche nach was Lebendigem. Vielleicht sind ja ein paar Menschen oder Tiere zurückgeblieben oder wenigstens ein Haus mit Fensterläden oder Vorhängen dran. Aber nichts, gar nichts ist vom Leben zurückgeblieben. Neben den Zerstörungen durch Bomben und Raketen sind die noch in ihren Grundrissen stehenden Häuser, Werkstätten und Geschäfte ausgeraubt, geplündert, bis auf ihr Gerippe ausgesaugt und entleert worden. Verbrannte Fahrzeuge, Plantagen, brachliegende Felder und Berge von Metallmüll zeugen von einer gewaltigen kriegerischen Zerstörung. Hunderttausende Menschen wurden vertrieben oder haben freiwillig die Flucht ergriffen. Die im Anschluss auftauchenden Aasgeier haben das Restliche mitgenommen.
Über den westlichen Stadtteil fahren wir ins Zentrum von Aleppo. Auf den ersten Blick erscheint mir Aleppo als erstaunlich intakt. Die Stadt wurde in den Tagen der Kämpfe jeweils zur Hälfte zwischen einem östlichen und westlichen Bereich geteilt. Der östliche Teil von den Rebellen gehalten, der westliche Teil vom Regime kontrolliert. Schauplatz der rivalisierenden kriegerischen Auseinandersetzungen war überwiegend der östliche Teil mit seinen einfachen, weniger bemittelten Einwohnern und ihren ärmlichen Wohnungen und Häusern. Hier ist auch der größte Teil der Zerstörung zu sehen. Im östlichen Teil liegt auch die wie aus „Tausend und einer Nacht“ erschaffene Altstadt, welche 1986 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ausgerufen wurde. Sie war in ihrer Struktur einmalig in der gesamten arabischen Welt. Jetzt ist also auch die Altstadt den Kämpfen zum Opfer gefallen! Hier haben die Menschen nicht nur gearbeitet, sie haben da gelebt, gebetet und gehandelt. Wie in uralten Zeiten war der Souk (Bazar) Treffpunkt von Händlern, Bauern und Beduinen aus allen Landesteilen. Tourismus gab es eigentlich kaum.
Ich habe viele schöne Erinnerungen an die Spaziergänge durch die lebendigen, verwinkelten Gassen, an die Einblicke in traditionelle Innenhöfe mit ihren fast luxuriös Kühle spendenden Springbrunnen, Erinnerungen an Begegnungen mit herzlich warmen Menschen, die einem jeden Wunsch von den Augen ablesen konnten. Im Souk hatte ich den Handwerkern beim Töpfe schmieden, Körbe flechten, Seile ziehen und Seife herstellen zugesehen. Ich hatte mich von den Düften der Gewürze und Parfüme verführen lassen, war verzaubert von Seidentüchern und Goldschmuck. Hier konnte ich Tage verbringen, um immer wieder was Neues zu entdecken und meine Sinne inspirieren zu lassen.
Ich werde die kommenden Wochen meines Aufenthaltes im westlichen Teil der Stadt wohnen. Dieser ist, Alhamdulillah (Gott sei Dank), durch den Krieg weniger von der Zerstörung betroffen, obwohl jahrelang von der Rebellenseite angegriffen und beschossen.
Auf den ersten Blick scheint die Stadt wider allen Erwartens quirlig und lebendig zu sein. Bei genauerem Hinsehen bemerke ich aber, dass die Menschen in sich gekehrt, bedrückt, müde, ja zum Teil sogar apathisch sind. Es umgibt sie Trauer und Freudlosigkeit. Zehn Jahre Krieg hat seine Spuren hinterlassen. Syrien ist ein energievolles Land, ich spüre das, sobald ich das Land betrete. Die Energie ist zwar immer noch da, sie hat sich jedoch in Aggression und Vernichtung umgewandelt. Es tut mir weh, zu sehen wie die Menschen und das Land davon die Wunden tragen.
Ich treffe meine Verwandten, Nachbarn, Freunde, junge und alte Menschen, Frauen und Männer. Alle haben eine, nein viele Geschichten zu erzählen. Vom Krieg, von der Angst, von über ihren Köpfen fliegenden Kriegsflugzeugen, vom Fast-von-Gewehrkugeln und Granaten-getroffen-worden-sein, von Kindern und Freunden die dann wirklich getroffen wurden, von Eltern deren Kinder wenn sie in die Schule gingen, nicht wussten, ob sie wieder nach Hause kommen, vom Verlust der Lieben die geflohen sind, von der Wohnung die zerstört ist, von den Granaten und den Einschüssen in der Wohnung und den Patronenhülsen die wie Geldmünzen gesammelt wurden, von Zeuge-sein-von-Folter-politischer Gefangenen, von Selbst-eingesperrt-zu-sein, vom wirtschaftlichen Krieg der den militärischen abgelöst hat, dem täglichen Überlebenskampf, den zehrenden Kräften das Überleben zu sichern, vom täglichen Wasser- und Strommangel , von der Sorge kein Gas zum Kochen zu haben…… Ein Cousin drückt es schlussendlich resignierend so aus: „Ich kann dir Geschichten erzählen, die ich früher als Lügen bezeichnet hätte. Heute jedoch weiß ich, dass jede Geschichte, die ich höre, so unfassbar sie auch sein mag, wahr ist.“ Ist es verwunderlich, dass manche einfach nur wegwollen, frage ich mich, und frage mich weiter, wie haben die Menschen das all die Jahre über ausgehalten?
Das Bedürfnis zu reden ist groß. Vielleicht eher mit jemand quasi Außenstehenden wie mir, ich, die aus dem Westen kommt und ihre Geschichten vielleicht dorthin weiterträgt. Weil der „nicht geliebte und von der Welt vergessene Syrer“, so sehen und bezeichnen sich viele, sich als Mensch nicht wertgeschätzt fühlt, weil der endlich gehört und nicht vergessen werden möchte. Schließlich sind sie Spielball vieler Nationen geworden und niemand ist mehr an ihrem Schicksal interessiert.
In der Stadt kann ich mich ohne Probleme bewegen. Ich werde weder aufgehalten noch spricht mich jemand an. Militär ist kaum zu sehen, außer vor politischen Gebäuden. Das Bild von Assad ist allgegenwärtig. Der erst kürzlich in seinem Amt bestätigte Präsident zeigt sich in jeder erdenklichen Größe und in seinen unterschiedlichsten Gesichtern. Ich besuche die Altstadt. Ich habe bereits viele Bilder und Filme über die Verwüstung gesehen. Aber es persönlich und unmittelbar anzuschauen ist etwas ganz anderes. Ich bin sprach- und fassungslos! Mir scheint, ich fühle nichts und bin nur Zeugin eines tatsächlich stattgefunden habenden Krieges. Ich gehe durch die Gassen die ich von früher her kenne, versuche alte Bilder und Erlebtes zurückzuholen, mich zu erinnern in der Hoffnung, manches wieder zu finden. Aber vieles ist bis zur Unkenntlichkeit zerstört oder einfach weg, unwiederbringlich! Ein großer Teil vom Souk ist ausgebrannt, die große vor dem Krieg neu renovierte Omayyaden Moschee ausgebombt. Meine Begleiter betonen immer wieder, dass jetzt alles viel besser sei als noch vor ein oder zwei Jahren. „Du konntest hier gar nicht gehen, alles Geröll und Schutt. Vieles ist schon weggeräumt“, sagen sie.
Wie beruhigt bin ich, als ich entdecke, dass manches doch noch steht. Wie der Khan Wazir (ehemals berühmte Rast- und Lagerstätte der Karawanen), die kleine Moschee aus dem 12.Jahrhundert, die Cafés vor der Zitadelle…. Ich bin mir sicher, vieles wird wieder aufgebaut werden. Der in Deutschland lebende und weltweit bekannte syrische Schriftsteller, Rafik Shami, erzählt gern über
Damaskus, dass Damaskus hundert Mal zerstört und hundertundein Mal wieder aufgebaut worden ist. Ich meine, das gilt erst recht für Aleppo, daran glaube ich ganz fest! Aufbau, Renovierung und Reparaturen fangen im kleinen Stil an. Russland, Tschechien, Iran und China geben etwas Geld und Unterstützung. Solange der Westen nicht hilft, wird es allerdings Jahrzehnte dauern bis die alte Altstadt wieder neu ersteht.
Des Weiteren besuche ich die Projekte unseres Vereins „Hilfe für Aleppo“. Da ich Anfang Juli in Aleppo bin und die Spenden jeweils zu Beginn des Monates verteilt werden, kann ich Abwicklung und Verteilung vor Ort verfolgen. Über die einzelnen Kontaktpersonen, Helfer und Helferinnen erhalte ich Informationen und mache mir ein persönliches Bild. Helfer Ali (alle folgenden Namen sind frei erfunden, um die Helfer zu schützen) hat die Aufgabe der täglichen Brotverteilung übernommen. In Zusammenarbeit mit zwei Bäckereien kauft er täglich etwa 50 kg Brot ein und lässt sie an zwei verschiedenen Orten verteilen. „Es gibt eine bestimmte Anzahl von Personen, die kommen täglich, um ihr Brot abzuholen und manchen armen Leuten geben wir in unserer Straße oder in unseren Häusern, wo wir wohnen, selbst das Brot“, teilt mir Ali mit.
Mustafa wiederum kooperiert mit zwei Apotheken. Sie erhalten insgesamt 200 €, enorm viel Geld ins Syrien, um Medikamente an kranke und mittellose Menschen geben zu können. Mustafa wählt die Personen nach Gesundheitszustand und finanzieller Lage aus und gibt ihnen entsprechende Gutscheine für die Abholung der Arzneien. Damit bekommen regelmäßig, je nach Kosten der Medikamente, monatlich etwa 10 -15 Personen Hilfe zur medizinischen Behandlung. Der genannte Betrag schließt natürlich nicht eine weitere medizinische Unterstützung aus, die bei manchen Personen durch die monatliche Hilfe abgedeckt ist.
Khaled hat sich zur Aufgabe gemacht, monatlich Kontakt zur Hilfsorganisation „Hanan“ aufzunehmen! „Hanan“ hilft Waisenkindern. Neu ist für mich, dass im Arabischen entgegengesetzt zum deutschen Wortgebrauch, Waisenkinder als solche bezeichnet werden, die keinen Vater haben, auch wenn die Mutter noch lebt. Die Hilfsorganisation unterstützt in diesem Sinne Waisenkinder und ihre Mütter. Ich besuche die Organisation und erfahre von der Direktorin, dass über unsere monatlichen Spenden für 20 Familien eine Patenschaft besteht. Ich bin beeindruckt von den guten bildungsmäßigen und medizinischen Angeboten der Organisation und darf auch einige Fotos machen.
Ein wesentlicher Teil der Spenden geht an bedürftige Familien in direkter finanzieller Form. Über ein gefächertes Schneeballsystem werden die Spenden verteilt. Mehrere Personen erhalten Teile der Spenden und verteilen sie an in ihrem Umfeld bekannte hilfebedürftige Familien oder Einzelpersonen. Eine lange arabische Tradition der sozialen Sicherung erweist sich in Kriegszeiten als effektiv und nützlich. Im arabischen Raum, im Gegensatz z. B. zu Europa, gibt es kein staatliches soziales System. Die Menschen helfen sich gegenseitig. Hat eine Person genug Einkommen zum Leben und kennt eine Familie, die in Not ist, hilft sie ihr mit einem ihr möglichen regelmäßigen Betrag. Schon vor dem Krieg war ich beeindruckt davon, wie Verwandte Geld sammelten, um einem armen Nachbarn für eine Operation zu helfen oder eine Familie unterstützten, in der der Mann krank war und daher nicht arbeiten konnte. Dieses System ist in der heutigen Krise eine verlässliche Möglichkeit der Hilfe.
Für ein paar Tage schließe ich mich Helferinnen und Helfern an, um sie auf ihren „Gängen“ zu den Familien zu begleiten. Die unterstützten Familien leben ausschließlich im östlichen Teil der Stadt, der wie bereits erwähnt, der am schwersten zerstörte Teil von Aleppo ist. Im Gegensatz zum westlichen Teil ist die Infrastruktur hier sicht- und spürbar schlechter. Die Bewohner haben im günstigsten Fall täglich ein bis zwei Stunden Strom und Wasser. Manchmal fällt alles über Tage aus. Sie haben keine Möglichkeit, wie manche Bewohner aus dem westlichen Teil, sich „Amperes“ über privatlaufende
Generatoren zu kaufen, damit zumindest der Kühlschrank läuft und etwas Licht da ist. Und das bei gegenwärtigen Temperaturen von über 40 Grad! Viele Straßen sind noch vom Krieg beschädigt und kaum befahrbar. Überall sehe ich zerstörte oder eingefallene Häuser, manche sind in der Zwischenzeit mit privaten Mitteln wieder aufgebaut. Staatliche Hilfe gibt es nicht. Die Verkehrsanbindungen sind schlecht und die Müllentsorgung funktioniert nur spärlich. Wo ich auch hinschaue, sehe ich Armut und bedrückte Menschen.
Ich begleite Huda, eine weibliche Helferin, zu den Witwen und alleinstehenden Frauen. Huda kümmert sich um mehr als 20 Familien, manchmal ist auch ihre Freundin Sabah dabei, um sie zu unterstützen. Jeden Monat ist sie unterwegs, ihr Mann, ein Taxifahrer, fährt sie zu den Wohnungen oder vereinbarten Treffpunkten der Frauen. Dort schaut sie nach ihnen, fragt wie es ihnen geht und überreicht die monatliche Hilfe. Das hautnahe Dabeisein und Eintreten in das Leben der Frauen bricht mir fast das Herz. Ich ertrage es kaum zu sehen unter welchen menschenunwürdigen Bedingungen die Witwen leben und ertrage kaum, zu erfahren, dass viele Kinder der Witwen, von manchen mehrere Kindern gleichzeitig, körperlich und psychisch krank sind. Ihre zarten Körper und Seelen tragen schwerste traumatische Erlebnisse von Angst, Bedrohung und Verlust in sich. Für uns Erwachsene sind diese schon schwer zu verkraften, wie dann für Kinder?
Ich möchte die einzelnen Schicksale der Frauen und ihren Kindern hier nicht aufführen, weil die wenigen Zeilen, die mir zur Verfügung stehen, ihnen nicht gerecht werden würde. Ich frage Huda woher sie die Kraft nimmt, jeden Monat zu den Frauen zu gehen. Huda hat einen starken Glauben und sie antwortet: „Gott liebt uns alle. Wenn du ihm nahe bist, wählt er Dich aus für ihn zu arbeiten. Ich bin glücklich, dass ich helfen kann.“
An weiteren Tagen begleitete ich von den zu diesem Zeitpunkt insgesamt zwölf Familien-Helfer/innen noch Kamel und Sabri auf ihren Gängen zu „ihren“ Familien. Auch sie überbringen den monatlichen Betrag zum Lebensunterhalt mit viel Zeit, Kraft und Geduld. Von jeder Familie wissen sie ihr Schicksal zu erzählen. Immer wieder erhalte ich die Bestätigung von den Einzelnen, dass sie monatliche Unterstützung erhalten. Und sie bedanken sich herzlich dafür. Hinter jeder Tür, die sich öffnet, verbirgt sich eine andere tragische Geschichte. Alle sind Leidtragende durch den Krieg und seinen Folgen. „Wir können das Leid nicht verhindern, es ist ihr Schicksal“, sagt Kamel. „Wenn wir die Möglichkeit haben zu helfen, dann ist das unsere Aufgabe, mehr können wir nicht machen“.
Was es doch für ein Wunder ist! Ein weites, dichtes Netz, gespannt von Deutschland bis nach Syrien! Es fängt mit seinen kleinen und großen Fäden über 200, wenn wir sie einzeln zählen, sind dies sehr, sehr viele Menschen, in Not und Leid geratene Familien in Aleppo auf! Es hilft ihnen zu überleben! Mein Glaube an das Gute im Menschen wird – wenn auch durch tragische Situationen – am Leben erhalten, bestätigt aufs Neue die wunderbare Arbeit unseres Vereins!
Meine Syrienreise ist nach fast drei Wochen Aufenthalt zu Ende. Im Gepäck nehme ich viel mit zurück. Diesmal keine getrockneten Kräuter, Seidentücher oder Düfte, sondern Eindrücke von einem ausgebluteten Land mit seinen um das Überleben kämpfenden tapferen Menschen, deren Hoffnung auf bessere Tage nicht sterben will.
In Deutschland werde ich gefragt, ob es schön war. Schön war es nicht, antworte ich, es war jedoch eine gute Zeit und ich bin froh, dass ich dort war.
Mit dem Wunsch, dass die Menschen in Syrien nicht vergessen werden,
verbleibe ich mit den besten Grüßen
Sabbagh Mouna
31. Juli 2021